BMU AKTIONSPROGRAMM UMWELT UND GESUNDHEIT BMG
 
ENTSTEHUNGSGESCHICHTE
 
 
 
 

Der Weg von Frankfurt über Helsinki nach London

(Auszug aus dem Einführungskapitel der Dokumentation zun Aktionsprogramm Umwelt und Gesundheit)

In den letzten Jahrzehnten hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, daß der vorsorgende Schutz und die Förderung der menschlichen Gesundheit nicht allein durch die Medizin und die medizinischen Versorgungsstrukturen gewährleistet werden kann. Zum Gesundheitsschutz der Bevölkerung müssen die vielfältigen Einflüsse aus der Umgebung des Menschen, die sich auf seine Gesundheit auswirken können, kontrolliert werden. Die Qualität der vom Menschen im Rahmen seiner technologischen und zivilisatorischen Entwicklung veränderten Umwelt ist im Hinblick auf Leben und Gesundheit eine wichtige Einflußgröße. Dies gilt besonders mit Blick auf künftige Generationen.

Den Grundstein für eine globale Gesundheitsstrategie legte die 30. Weltgesundheitsversammlung im Mai 1977 mit der Resolution WHO 30.43, in der es heißt, daß "das wichtigste soziale Ziel der Regierungen und der WHO in den kommenden Jahrzehnten sein sollte, daß alle Bürgerinnen und Bürger der Welt bis zum Jahr 2000 ein gesundheitliches Niveau erreicht haben, das es ihnen erlaubt, ein gesellschaftlich und wirtschaftlich produktives Leben zu führen".

Im Hinblick auf dieses Ziel einigten sich die Mitgliedstaaten der Weltgesundheitsorganisation in der Europäischen Region (WHO-Euro) 1984 durch Verabschiedung der Strategie "Gesundheit für alle" erstmalig auf eine gemeinsame Gesundheitspolitik mit einer Reihe von Zielvorgaben bis zum Jahr 2000. In der Erkenntnis, daß die menschliche Gesundheit von einem breiten Spektrum von Umweltfaktoren abhängig ist, definierten die Mitgliedstaaten unter den insgesamt 38 Zielen dieser Strategie auch sieben Ziele zum umweltbezogenen Gesundheitsschutz, die sowohl die direkten Auswirkungen von Umweltfaktoren (z.B. physikalische, chemische oder biologische Noxen) als auch die indirekten Auswirkungen psychosozialer Faktoren auf Gesundheit und Wohlergehen, u. a. Wohnverhältnisse und Stadtentwicklung betreffen.

Der Ursprung zahlreicher internationaler Initiativen zum Schutz der Umwelt, die teilweise parallel zu den WHO-Euro-Aktivitäten verlaufen, geht auf den von den Vereinten Nationen skizzierten Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung zurück. Nachhaltige Entwicklung bedeutet dabei "Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne die Möglichkeit aufs Spiel zu setzen, daß künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse befriedigen können".

Bei der Umsetzung der Ziele der Strategie "Gesundheit für alle" hat das europäische Regionalbüro der WHO erkannt, daß für den Bereich "environmental health"(1) europaweit Verbesserungen nur im Zusammenwirken der Verantwortlichen für die Sektoren Gesundheit und Umweltschutz möglich ist. Deutschland hat diesen Gedanken aktiv unterstützt und dazu beigetragen, daß die Erste Europäische Konferenz "Umwelt und Gesundheit" 1989 in Frankfurt stattfand. Die Konferenz, an der die Gesundheits- und die Umweltminister der europäischen Region teilnahmen, fiel in die Zeit des großen Umbruches im Osten und ermöglichte offene Diskussionen und richtungsweisende Beschlüsse. Als zentrales und wegweisendes Dokument wurde auf der Konferenz die Europäische Charta "Umwelt und Gesundheit" verabschiedet, deren Grundsätze für lange Zeit Gültigkeit haben dürften. In dieser Charta werden u.a. Rechte und Pflichten definiert. Zu den Rechten ist dort ausdrücklich festgehalten:

"Jeder Mensch hat Anspruch

  • auf eine Umwelt, die ein höchstmögliches Maß an Gesundheit und Wohlbefinden ermöglicht
  • auf Informationen und Anhörung über die Lage der Umwelt, sowie über Pläne, Entscheidungen und Maßnahmen, die voraussichtlich Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit haben,
  • auf Teilnahme am Prozeß der Entscheidungsfindung."

Als konkretes Ergebnis dieser WHO-Initiative wurde mit Sitz in Bilthoven (Niederlande), Rom und Nancy mit finanzieller Unterstützung der dortigen nationalen Regierungen das Europäische Zentrum für Umwelt und Gesundheit (European Centres for Environmental Health) eingerichtet.

Die mit der Frankfurter Konferenz begonnenen Aktivitäten der WHO in Europa sind auch als Reaktion auf die wachsende Besorgnis der europäischen Öffentlichkeit über Umwelteinflüsse auf den Gesundheitszustand zu verstehen. In Vorbereitung auf die Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung (UNCED), die 1992 in Rio de Janeiro stattfand, etablierte die WHO eine Kommission für Gesundheit und Umwelt, deren Bericht "Our Planet, our Health" der UNCED ein umfassendes Bild über die Weltgesundheitslage in diesem Kontext vermittelt.

Zur Umsetzung des Leitbildes der nachhaltigen Entwicklung wurde in Rio ein Aktionsprogramm für eine gesellschaftlich und wirtschaftlich dauerhafte und umweltgerechte Entwicklung im 21. Jahrhundert verabschiedet. Diese sogenannte "Agenda 21" basiert auf der Erkenntnis, daß eine dauerhafte und umweltgerechte Entwicklung von den Regierungen und Völkern neue Denkansätze verlangt. Ohne einen solchen Wertewandel würde die Umwelt noch stärker belastet werden, was letztlich die Lebensqualität und Gesundheit sowie die Chancen zukünftiger Generationen weiter beeinträchtigen würde.

Zur Konkretisierung der 1989 im Rahmen der Europäischen Charta "Umwelt und Gesundheit" beschlossenen allgemeinen Zielsetzungen wurde in einem ersten Schritt zur 2. Konferenz "Umwelt und Gesundheit" der WHO 1994 in Helsinki ein umfassender Situationsbericht über den umweltbezogenen Gesundheitsschutz in Europa vorgelegt. Dieser Bericht mit dem Titel "Sorge um Europas Zukunft (Concern for Europe's Tomorrow)" wurde von dem Europäischen Zentrum für Umwelt und Gesundheit unter Einbeziehung des wissenschaftlichen Sachverstandes der Region erarbeitet. Aufbauend auf diesem Bericht wurde ein Europäischer Aktionsplan "Umwelt und Gesundheit für Europa" (EHAPE) mit konkreten Zielsetzungen und Handlungsstrategien entwickelt, der auf der Zweiten Europäischen Konferenz verabschiedet wurde. Die Teilnehmer verpflichteten sich, diesen Europäischen Aktionsplan jeweils durch "Nationale Aktionspläne Umwelt und Gesundheit" (NEHAP) umzusetzen, die bis Ende 1997 erstellt werden sollten. Zur Koordination wurde ein "European Environment and Health Committee (EEHC, Europäischer Ausschuß Umwelt und Gesundheit)" eingerichtet.

Die 2. Konferenz, zu deren Gelingen Deutschland als Gastgeber bei der Vorkonferenz in Hamburg beigetragen hat, fand in einem gegenüber 1989 politisch völlig veränderten Europa statt. Die Zahl der Mitgliedstaaten hatte sich von 29 auf 50 erhöht. Gleichzeitig mit dem politischen Wandel waren signifikante Veränderungen der demographischen und sozialen Struktur der europäischen Bevölkerung eingetreten, gefolgt von einer weitreichenden wirtschaftlichen Rezession mit steigender Arbeitslosigkeit, insbesondere unter jungen Menschen. Die meisten mittel- und osteuropäischen Länder (MOE) und die unabhängigen Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion (GUS) sind seitdem bei ihrem Übergang von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft mit großen Wirtschaftsproblemen konfrontiert. Sie haben darüber hinaus mit besonderen umwelthygienischen Problemen zu kämpfen, zu deren Lösung oft die erforderlichen Institutionen und personellen Kapazitäten fehlen. Aber auch in anderen Teilen Europas bestehen teilweise noch erhebliche Umwelt- und Gesundheitsprobleme. Auch hier belastet die wirtschaftliche Rezession und Globalisierung die eigenständige Problembewältigung. Zusätzlich werden aber insbesondere den führenden Industrienationen erhebliche Anstrengungen zur gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umgestaltung mit dem Ziel einer dauerhaften und umweltgerechten Entwicklung abverlangt.

1999 sollen auf der 3. Europäischen Konferenz "Umwelt und Gesundheit" in London zur Konsolidierung des eingeschlagenen Weges die mit den Nationalen Aktionsplänen Umwelt und Gesundheit gemachten Erfahrungen ausgewertet werden.

(1) Einen passenden deutschen Begriff gibt es für "Environmental Health" nicht. WHO-Euro definiert Environmental Health (EH): "Environmental health comprises those aspects of human health, including quality of life, that are determined by physical, biological, social and psychological factors in the environment. It also refers to the theory and practice of assessing, correcting, controlling and preventing those factors in the environment that potentially affect adversely the health of present and future generations". Im deutschen Sprachgebrauch umfaßt EH sowohl die Umwelteinwirkungen auf die menschliche Gesundheit als auch den umweltbezogenen Gesundheitsschutz (Umwelthygiene, Umweltmedizin) und den gesundheitsbezogenen Umweltschutz.
 
 
 

 
 
 
  BACK Zur Startseite

 PDF-Reader holen Get Acrobat Reader